Hurra, Hurra - der Digitalpakt ist da! Seit 2016 wabert die Hoffnung vor allem bei den Digitaleuphoristen (so einer wie ich) und pünktlich zum Nikolaustag 2018 wird die Vision nun tatsächlich Realität (Weg frei für den Digitalpakt). Einzelheiten zur Umsetzung wollen Bund und Länder in einer Vereinbarung festlegen, die am 6. Dezember unterzeichnet werden und den Weg zu einer Kooperation von Bund und Ländern bei Bildungsausgaben freigeben soll. 5 Milliarden Euro werden so zusätzlich in die Digitalisierung von Schule fließen. Was auf den ersten Blick nach einem Quantensprung aussieht, könnte beim genauen Betrachten an Glanz verlieren. Denn neben den sicherlich hohen bürokratischen Hürden beim Abrufen der Gelder durch die einzelnen Bundesländer, ist der Betrag bei der Anzahl von Schulen und Schülerinnen und Schülern gar nicht mehr so hoch wie die Summe zunächst suggeriert.
"Schulen in Deutschland sollen jeweils bis zu 25.000 Euro für Laptops und Tablets erhalten können." (Artikel bei Spiegel Online). Diejenigen, die tiefer in der Marterie involviert sind, können diesem Betrag eher ein müdes Lächeln abgewinnen. Klar ist aber auch, dass sich der Betrag nur auf einen Anteil der Förderung durch den Digitalpakt bezieht. Weitere Details werden noch veröffentlicht oder sind hier schon etwas genauer ausdifferenziert.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Natürlich freue ich mich, dass es nun (hoffentlich) endlich weiter geht mit den ambitionierten Zielen, die wir uns z.B. an meiner Schule und im Studienseminar gesetzt haben. Dies wird vielen Anderen ähnlich gehen.
Doch die Digitalisierung von Schulen ist nur eine Baustelle der Bildungsrepublik Deutschland. Und hier erwacht man schnell in der Wirklichkeit.
Lieblingsthema: Schulklo
An kaum einem anderen Beispiel lässt sich das Versagen von Verwaltung und Politik im Bereich Schulsanierung plakativer veranschaulichen als mit Schultoiletten. Die Medien nutzen dafür entsprechende Schlagzeilen:
1671 Schultoiletten müssen saniert werden
Schultoiletten in katastrophalem Zustand!
„Es ist schon normal geworden, dass Schultoiletten stinken“
Es wäre fast schon lustig, wenn es nicht so traurig wäre. Kaum ein Arbeitnehmer würde unter solchen Bedingungen seinen Arbeitsplatz aufsuchen, sondern - im Gegenteil! - eher wegen gesundheitlicher Risiken den Klageweg suchen. Mit Lehrkräften und Schüler*innen kann man es wohl machen. Dass auch die Eltern angesichts z.T. unwürdiger Rahmenbedingungen nicht vermehrt auf die Barrikaden gehen, ist mir ein Rätsel. Vielleicht ist es tatsächlich schon normal geworden in einer Zeit, in der Eltern in den Ferien Klassenräume streichen und so manche Baumängel einfach überpinseln (Das Schweigen-Dilemma).
Bildung beginnt in den Räumen, in denen Kinder und Jugendliche viele Stunden ihrer Lebensjahre verbringen. Was mit dem Ehrenamt der malenden Eltern beginnt, setzt sich in der Krise der Digitalität fort. Denn selbst wenn das große Geld (Digitalpakt) fließt, stellt sich pragmatisch an der Schule die Frage: Wer verwaltet eigentlich den ganzen Kram? „Kein Mensch käme auf den absurden Gedanken, bei einem Problem mit dem zentralen Heizungssystem einer Schule eine Lehrerin oder einen Lehrer mit Werkzeug bewaffnet in den Heizungsraum zu schicken, weil er das auch privat als Hobby macht oder sich einfach engagieren möchte.“ schreibt Armin Hanisch in seinem tollen Beitrag zu BYOD (BYOD or not to BYOD). So landet man in allen Facetten von schulischer (besser schulbaulicher?) Entwicklung - egal ob Schulklos, Sporthallen, Mobiliar oder Systembetreuung - bei der banalen Frage: Was ist Bildung eigentlich wert?
Quelle: Deutscher Bundestag veröffentlich auf tagesschau.de
Augmented? Virtual? Mehr so Realität!
Die großen Schlagworte zukünftiger Bildung sind AR und VR. Vielleicht könnte die Virtual Reality tatsächlich als Selbstschutz dienen. Nach dem Motto: Lieber mit VR-Brille ins Land der Dinos, als auf dem Mobiliar von Oma und Opa auf verklebtem Teppich und unter dem Licht der 80er Jahre Arbeitsblätter auszufüllen. Denn Schultoiletten sind ja nur ein kleines Symptom verpasster Investitionen in Schulgebäuden. Umso größer wird die Diskrepanz zwischen den 'Realitätsschulen' und den Leuchttürmen (Alemannenschule Wutöschingen) und Bildungseinrichtungen in privater Trägerschaft (Impressionen Freie Schule Anne Sophie in Berlin).
In meiner Kommune Garbsen steht der Neubau der größten Schule gerade im Mittelpunkt der Diskussion. Bis zu 75 Millionen Euro müssten investiert werden, damit die Schule frühestens in 8 Jahren eröffnet werden kann. Amazon hat hier gleich um die Ecke innerhalb eines Jahres ein riesiges Logistikzentrum hochgezogen und in Betrieb genommen. 8 Jahre sind wieder eine ganze Schülergeneration an der Sek 1 (Bürokratie ist wohl ein anderes Thema...). Die Sorgen der anderen Schulen (auch meine ist betroffen) ist, dass aufgrund dieser enormen Summe dringend erforderliche Investitionen an den anderen Schulen ausbleiben. 20 Jahre Winterschlaf lassen grüßen. Zurecht melden sich die Schulleitungen dieser Schulen zu Wort (IGS-Neubau: Das fordern die anderen Schulleiter).
Um mit zeitgemäßer Bildung wirklich Ernst zu machen reicht kein Digitalpakt und keine Tablets mit bunten Anwendungen. Die Wirkung von Digitaler Transformation gepaart mit Inklusion ist so brachial, dass buchstäblich Wände eingerissen und (Lern-)Räume neu gestaltet werden müss(t)en. Ja: Schulentwicklung und Bildung kosten Geld! Kommunen scheinen überfordert und der Bund muss in die Pflicht genommen werden. Dass dabei das zur Verfügung gestellte Geld nur ansatzweise abgerufen wird ist ein anderes Thema (liegt es an bürokratischen Hürden?) und kann hier nachgelesen werden.
Die Realität an deutschen Schulen ist manchmal frustrierend angesichts der vielen (nicht nur bauseitigen) Baustellen. Die Rettungsgasse im Sanierungsstau ist dicht. Es braucht einen Schulterschluss von Eltern, Lehrern und Politik zur Bewältigung dieser Herausforderungen. Zufriedenheit der Lehrkräfte ist eine wesentliche Gelingensbedingung von Schulentwicklung und diese entsteht nicht nur durch die Anpassung von Besoldung sondern auch mit der Schaffung von professionellen Arbeitsbedingungen.
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