Entwicklungsfeld Schulleitung & Schulorganisation - Transformers (Teil 4/5)

Im Gegensatz zu den Entwicklungsfeldern Unterricht und Lehrerrolle , spielen in den Entwicklungsfeldern 3 und 4 die Verhältnisse eine stärkere, respektive starrere Rolle. Vor allem bezogen auf eine agile Schulorganisation. Schulleitung zu sein ist sicherlich ein absolute Herausforderung. Nicht jeder ist dafür geschaffen und dementsprechend sind Stellen durchaus länger vakant und die Bewerberlage z.T. schwierig. Die Aufgabenfülle ist einfach riesig. Darüberhinaus noch einen Change-Prozess zu initiieren, zu begleiten und immer wieder zu pushen ist eine mächtige Herausforderung. Zumal es immer wieder bürokratische und vermeintlich systemische Hürden zu überwinden gilt. Grauzonen innerhalb gegebener Verhältnisse müssen erstmal als solche identifiziert werden.

 

Schulleitung

            Schulorganisation


Der Gestaltungs- bzw. Transformationsprozess einer Schule im Wandel lässt sich aber nicht allein als Graswurzelbewegung und Bottom-up organisieren. Insbesondere in den Leitungspositionen braucht es Visionen und Mut.

Transformationale Führung und Empowerment

Rolle und Haltung von Leitung im Kontext der digitalen Transformation und Inklusion sind ein wesentlicher Faktor.  Dies gilt für Schule und Wirtschaftsunternehmen gleichermaßen: flache Hierarchien, die Weisheit der Vielen (Die Weisheit der Vielen von James Surowiecki) und ‚leading from behind’. Kennzeichen eines solchen Führungsstils ist die Überwindung schwerfälliger und überholter Hierarchien, zu Gunsten einer agilen Organisation mit verteilten Autoritäten: Keine Zuordnung von Aufgaben nach Ämtern, sondern nach Potenzialen. Denn nur die Potenzialentfaltung im Kollegium und das Empfinden von Selbstwirksamkeit des Einzelnen kann zu einer Identifikation mit dem Betrieb (in diesem Fall Schule) und schließlich zu echter Schulentwicklung führen.

 

Gesucht sind also Change-Manager mit einem transformationalen Führungsstil.

Auf Seiten der Schulleitung sind für den Prozess im Besonderen folgende Kompetenzen erforderlich:

  • Identification: Vorbild und Vertrauen
  • Inspiration: Motivation durch Herausforderungen
  • Stimulation: Förderung selbstständiger und kreativer Problemlösekompetenz
  • Consideration: Individuelle Förderung und Coaching
  • Fairness: Effektive Kommunikation
  • Entrepreneurship: Unternehmerische Haltung (Innovation)
  • Volition: Umsetzungsstärke (Ergebnisorientierung)

(Quelle: Quelle: Pelz, W.: Transformationale Führung – Forschungsstand und Umsetzung in der Praxis. In: Au, Corinna von (Hrsg.): Leadership und angewandte Psychologie. Band 1: Wirksame und nachhaltige Führungsansätze. Berlin: Springer Verlag 2016.)

 

Das Anstreben einer transformationalen Führung hat logischerweise Folgen für das Kollegium und das Verhalten aller Mitwirkenden in der Schule. Die richtigen Köpfe für diese Positionen zu finden, ist sicherlich die größte Herausforderung. Unternehmer- und Innovationsgeist sind nicht die vorrangig zu erlernenden Skills in der Lehreraus- und Weiterbildung. Dennoch braucht es Gespür für Teamstrukturen um die richtigen Köpfe zur Weiterentwicklung von Schule zu vereinen. Denn nur im Team sind Herausforderungen zu bewältigen (siehe Teil 3/5). 

 

Die Attribute von Leitung im Change-Prozess liegen im Bereich des Mindsets und dem damit verbundenen Führungsstil. Bei der Auswahl und Fortbildung von geeignetem Personal ist dies also unbedingt mitzudenken. 

 

Empowerment ist der entscheidende Faktor, um möglichst viele Kolleginnen und Kollegen mitzunehmen.  Empowerment beschreibt mutmachende Prozesse und die Weiterentwicklung personaler Kompetenzen. Ähnlich wie bei Schüler*innen muss es Ziel von Leitungen sein, Selbstbefähigung, Selbstbemächtigung und Stärkung von Lernautonomie so gut es geht zu fördern. Wenn Lehrkräfte dies und die damit verbundene Wertschätzung erfahren, leisten sie mehr und identifizieren sich stärker mit ihrer Schule. Das erfordert flache Hierarchien und Vertrauen. Ein Paradigma der Kontrolle und der Angst sind da wenig hilfreich. 

 

Ich selbst bin nicht in der Schulleitung und kann daher nicht fundiert genug genug die Prozesse einschätzen. Daher freut es mich um so mehr, dass mit Frank Bäcker ein Schulleiter seine ganz persönliche Sicht von Schulleitung und Schulorganisation im Wandel in einem Gastbeitrag darstellt.

 

Eine sehr persönliche Sicht der Dinge...

Gastbeitrag von Frank Bäcker

"Als Ganztagsgymnasium ist unsere Schule nicht nur ein Lernort sondern vor allem auch Lebensraum. Daher ist es allen Beteiligten ein besonderes Anliegen mehr als nur Fachunterricht anzubieten und eine Schule zu schaffen, in der sich Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohl fühlen. Wir wollen einen Ort gestalten, an dem Aspekten einer ganzheitlichen Bildung Raum gegeben wird, an dem sich das „Wohlfühlen“ als roter Faden durch möglichst alle Bereiche des schulischen Alltags zieht. Auf diese Weise soll unsere Schule eine Schule sein, zu der man gerne kommt und wo das Lehren und Lernen nicht nur gut, sondern besser gelingen kann.

 

So weit, so theoretisch, so allgemein. Das Leitbild unserer Schule ließe sich sicher ohne großen Aufwand auf viele andere Schulen übertragen, denn es klingt gut, umsetzbar, man kann das unterschreiben, aber es wird konkreter und herausfordernder, wenn wir formulieren:

 

Wenn wir es in unserer Schule schaffen, jeden einzelnen Schüler, jede einzelne Schülerin im Blick zu haben, jeweils differenziert Stärken und Schwächen zu diagnostizieren und individuell darauf einzugehen, dann arbeiten wir erfolgreich, wenn wir uns einstellen auf die Anforderungen einer modernen digitalen Gesellschaft im 21. Jahrhundert, ohne zu vergessen, dass Leben nicht nur digital funktioniert, dass Kreativität, Kommunikationsfähigkeit und Teamfähigkeit Kernkompetenzen sind, wenn wir jedem Schüler und jeder Schülerin das Gefühl geben können, dass sie oder er Teil einer Gemeinschaft am DBG ist und dort jederzeit einen Ansprechpartner finden kann, wenn wir Eltern nicht nur einladen und informieren sondern ihnen auch vielfältige Möglichkeiten zur Partizipation geben und uns als Kollegium als Team verstehen und finden, dann funktioniert unser Programm.

 

Und dann kommt Schulleitung ins Spiel, denn das Programm soll eben nicht nur gut klingen, theoretisch und im Allgemeinen von allen oder zumindest vielen unterschrieben werden können, sondern die Schulleitung muss den Rahmen schaffen. Wenn man sich den Anspruch genau anschaut, ist klar, dass ein herkömmliches hierarchisches, traditionelles, gymnasiales Rollendenken nicht mehr funktionieren kann, sollte es denn jemals funktioniert haben.

 

Unser Verständnis von Schulleitung, die Idee von flachen Hierarchien, die verkrustete Strukturen aufbrechen kann, mit grundlegenden Ideen des Design Thinking oder SCRUM und dem Wissen darum, dass wir hier ein kreatives, motiviertes und den Schülerinnen und Schülern sehr zugewandtes Kollegium haben, schafft Möglichkeiten, Schule spannend, abwechslungsreich, bereichernd und damit letztlich anders und wirklich neu zu gestalten. Dabei gilt es, gezielt die Freiräume zu nutzen, die das System immer wieder bietet: natürlich bietet das System eines Ganztagsgymnasiums Möglichkeiten, konzeptionell so zu arbeiten, dass Kolleginnen und Kollegen Freiheiten bekommen, eigene Ideen einzubringen, Projekte anzuregen, out of the box zu denken... und wir probieren dann aus, schnell, agil, unkompliziert: ein neues Konzept von „Meditation in der Schule“, vorgestellt, begeistert, am eigenen Anspruch und dem Leitbild gemessen - eingeführt. Die Verbindung wissenschaftlicher Erkenntnisse der Neurologie mit den traditionellen Meditationstechniken eröffnet uns neue Möglichkeiten der Rhythmisierung eines Schultages im Ganztagssystem. Einführung einer AG „Herausforderung“? Wege gesucht, etabliert, OK, durch Corona verschoben, kommt aber: Ein Weg raus aus der Schule, ins „Abenteuer“, wir glauben, dass wir so den Anforderungen in einer sehr besonderen Art und Weise gerecht werden können. Die Spannweite zwischen „Meditation“ und „Herausforderung“ steht dabei für unser Spektrum, mit dem wir jedem Einzelnen Möglichkeiten eröffnen, schneller, unkomplizierter, vielleicht manchmal weniger „ausgereift“, dafür umso spannender.

 

Der „Frei-Day“ in der ersten Phase der Corona-Krise als neue und unfassbar tolle Entwicklungschance für selbstständiges und selbstbestimmtes Arbeiten, eine Tablet-Pilotklasse in Stufe 8, die Idee, dass daraus schon im nächsten Schuljahr eine komplett neue Mittelstufenorganisation erwachsen kann, die einen Transfomationsprozess der ganzen Schule einleitet, an dem sich nach und nach, in eigenem Tempo ohne überfallen zu werden, immer mehr Kolleginnen und Kollegen beteiligen, eine Diskussionsatmosphäre, die Ängsten und Vorbehalten auch bei den Kolleginnen und Kollegen, bei den Eltern und auch einzelnen Schülerinnen und Schülern Raum lässt, die dafür sorgt, dass alle sich ernst genommen fühlen und dann auch „abseitigere Ideen“: die Teilnahme der fast kompletten Schule an einer „Fridays for Future“ - Demo, weil wir es wichtig finden, eine völlig verrückte Pizzaparty für alle am letzten Schultag, Raum für totale Unvernunft, einfach weil wir es lustig finden!

 

So wollen wir, so will ich konsequent und in kleinen Schritten und manchmal großen Sprüngen eine Schulkultur etablieren, die auch immer wieder von Spontanität und einem gewissen Maß an Unplanbarkeit, Offenheit und dem Versuch geprägt ist, bei aller Struktur, die eine Schule braucht, immer auch noch Lust zu experimentieren, Dinge auszuprobieren – einfach mal zu machen – schafft und zulässt.

 

Ich bin sicher, dass eine solche Mischung nicht nur für die Schülerinnen und Schüler (für die sowieso und in erster Linie) aber auch für Lehrerinnen und Lehrer (und das mindestes genauso wichtig aus meiner beruflichen Perspektive) wirklich gute Schule ausmacht: Routinen schaffen und Routinen immer wieder durchbrechen, Sicherheit bieten und Experimentierlust gezielt fördern.

 

Das klingt einfach, wirft aber immer wieder Widerstände und Unverständnis auf: „Wieviel Prozent des Deutschunterrichts in einer iPad-Klasse wird denn analog unterrichtet und wer kontrolliert das? Das gehört doch zu einem `Konzept` dazu“, „Wer legt denn fest, in welchem Jahrgang welche Klasse in welchen Fach welche App kennenlernt?“, „Was sagt denn das Arbeitsgesundheitsgesetz zur Körperhaltung bei der Arbeit mit Tablets?“... und schon verliert sich die Diskussion in einem endlosen Klein-Klein und meine Aufgabe erinnert an Sisyphos... nichts geht voran, es wird gebremst, befürchtet, eingeschränkt, geregelt, besprochen, verschoben, nachgebessert... Wir brauchen viel mehr Mut, nicht perfekt sein zu müssen, nicht jede Möglichkeit durchdacht zu haben, nicht jede Eventualität erahnt zu haben: machen, ausprobieren, darüber reden, offen sein und im

schlimmsten Fall mal scheitern und etwas daraus lernen - und Schule könnte ein echtes „lernendes System“ werden.

 

Schulorganisation

Genau dieser von Frank dargestellte Mut, Schule als lernendes System zu begreifen, wird allzu oft ausgebremst durch Vorgaben, die von außen auf die Schule einwirken. Im Bereich der Schulorganisation bräuchte es vor allem viel mehr Freiräume (Notengebung, Fächerkanon, Personal, frei verfügbare Finanzmittel, weniger enge Richtlinien uvm.), um einen echten Wandel von Schule aus eigener Kraft voranzubringen.

Um dennoch nicht nur Verhältnisse zu beklagen, gibt es vielfältige Möglichkeiten, die Gesamtorganisation von Schule zu verändern. Sei es durch Langzeitprojekte, den schon genannten FreiDay oder regelmäßig stattfindende Barcamps für Schülerinnen und Schüler, um sie wirklich an der Schule partizipieren zu lassen. Dazu ist es sicherlich erforderlich, kreative Möglichkeiten in der Stundentafel zu generieren, um beispielsweise Unterrichtszeiten verschiedener Fächer anteilig zu einem neu geschaffenen Block zusammen zu ziehen. 

 

Um so etwas anzuschieben muss Schule nicht wieder bei Null anfangen. Wir können unsmit anderen Schulen in der Region und darüber hinaus vernetzen, um z.B. die gemeinsame Veränderung von Unterricht zu gestalten. Beispielgebend ist da die Zusammenarbeit bayrischer Schulen im Lernbüro digital. Das Konzept ist mit dem deutschen Lehrerpreis 2019 ausgezeichnet worden. Neben der Nutzung von digitalen Medien erscheint mir bei diesem Projekt besonders die Vernetzung über den eigenen Schulhorizont hinaus als besonderes Merkmal. 

 

Sechs Schulen kooperieren mit knapp 40 Lehrer*innen. Begonnen mit Pfuhl und Neunburg vorm Wald sind heute Erlangen, Ingolstadt, Amberg und Weißenhorn mit dabei. "Überall haben wir tolle Lehrkräfte kennengelernt, die offen sind für Neues aber auch ganz viele neue Ideen mit einbringen." ( Sebastian Schmidt)

 

"Ob wir den deutschen Lehrerpreis nun wegen des Unterrichtskonzepts gewonnen haben oder wegen der damit verbundenen Kooperation, ist für uns nicht feststellbar. Fakt ist, dass uns gerade die Zusammenarbeit mit den KollegInnen aus ganz Bayern in vielerlei Hinsicht hilft. Zum einen werden Kapazitäten geschont. Jede Schule oder maximal ein Lehrer erstellt ein Kapitel, der Rest kommt von den anderen Kollegen. Im Redaktionskurs werden alle Materialien (auch Schulaufgaben) hochgeladen und jeder übernimmt dann das in seinen Kurs, was für ihn passend ist."( Sebastian Schmidt)

 

Zwei- bis dreimal im Jahr treffen sich die Gruppen virtuell, um sich auszutauschen, um Probleme zu besprechen, einzelne Kapitel auf Wirksamkeit zu analysieren und vor allem, um ihr Handeln kritisch zu reflektieren. Für interessierte Schulen gibt es eine Checkliste, bei weiterem Interesse verwenden sie ein Jahr das bereits erstellte Material. Später verpflichten sich dann die Lehrkräfte selbst Content zu erstellen oder bisher erstellte Materialien redaktionell zu überarbeiten. In der Praxis, im Erstellen und im Austausch zeigen sich die notwendigen digitalen Kompetenzen, die es braucht, um auch die Schüler*innen kompetent im Umgang mit digitalen Medien werden zu lassen. 

 

Gerade der Bereich des Erfahrungslernens und der Reflexion ist ein zentraler Aspekt, damit die Schule im Wandel eine gute Schule wird. Darum geht es im letzten und fünften Teil der Reihe.

 

Wenn du die ersten beiden Beiträge verpasst hast, kommen die wichtigsten Infos hier nochmal in Videoform: