"Jan, du wirst doch bestimmt Schulleiter" ist eine Aussage, die mir in meiner Berufslaufbahn immer wieder begegnet ist und auch noch begegnet. Grundsätzlich wohl als Kompliment zu verstehen, hat mich diese Aussage in meinen ersten Berufsjahren schon beschäftigt und ich kam ins Grübeln. Je länger ich im System Schule arbeite, desto mehr rückt jedoch dieser Gedanke in den Hintergrund (abgesehen davon, dass wohl jeder (?) schon mal eine eigene Schule gründen wollte - vielleicht mache ich das tatsächlich mal?!). In der Schulleitung zu arbeiten ist ein anspruchsvoller Job und eine komplexe Aufgabe. Positiv formuliert: Facettenreich und herausfordernd.
Er ist so vielseitig, dass ich mich in diesem Beitrag weniger den vielen alltäglichen Aufgaben von Schulleitungen widmen werde (das können Schulleiter*innen eh viel besser als ich), sondern vielmehr die Rolle und Haltung von Schulleitung im Kontext der digitalen Transformation und Inklusion in den Blick nehmen möchte. Die Digitalisierung muss im Rahmen professioneller Schulentwicklung zusammen mit Unterrichts-, Personal- und Organisationsentwicklung zwingend mitgedacht werden (vgl. Digitale Schulentwicklung - Das Praxisbuch für Schulleitung und Steuergruppen von Johannes Zylka).
Leading from behind
Schon 2009 formulierte die deutsche Gesellschaft für Bildungsmanagement: "Schulen müssen auf soziale, ökonomische, ökologische und kulturelle Veränderungen und Entwicklungen reagieren, mit ihnen Schritt halten, sie auffangen und auf sie vorbereiten, sie voranbringen oder ihnen gegebenenfalls auch entgegenwirken".(http://www.bildungsmanagement.net/pdf/PubsHuber/2_3/Huber-2009-SchulleitungAnforderungenUndProfessionalisierung.pdf).
Die Herausforderungen durch den digitalen Transformationsprozess kommen nun noch 'on top'. Dies gilt für Schule und Wirtschaftsunternehmen übrigens gleichermaßen. Das Credo lautet daher: flache Hierarchien, die Weisheit der Vielen (Die Weisheit der Vielen von James Surowiecki) und leading from behind.
Kennzeichen eines solchen Führungsstils ist die Überwindung schwerfälliger und überholter Hierarchien, zu Gunsten einer agilen Organisation mit verteilten Autoritäten: Keine Zuordnung von Aufgaben nach Ämtern, sondern nach Potenzialen. Denn nur die Potenzialentfaltung vom Kollegium und das Empfinden von Selbstwirksamkeit des Einzelnen kann zu einer Identifikation mit dem Betrieb (in diesem Fall Schule) und schließlich zu echter Schulentwicklung führen. Im Zusammenhang mit der Digitalisierung bedeutet dies, dass Schulleitungen keine Experten auf diesem Gebiet sein müssen. Es geht viel mehr um ihre Qualität, Kollegien Selbstverantwortung zu geben und für die neuen Möglichkeiten zu begeistern. Gesucht sind also Change-Manager mit einem transformationalen Führungsstil (siehe unten).
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Transformationale Führung
Charakteristisch für einen transformationalen Führungsstil ist eben genau die o.g. Entfaltung von Potenzialen im Lehrerzimmer. "Transformationale Führungskräfte versuchen, ihre Mitarbeiter intrinsisch zu motivieren, indem sie beispielsweise attraktive Visionen vermitteln, den gemeinsamen Weg zur Zielerreichung kommunizieren, als Vorbild auftreten und die individuelle Entwicklung der Mitarbeiter unterstützen." (Wikipedia). Es geht dabei insbesondere um die Transformation von Haltungen und Werten hin zu einem growth mindset. Also weg von "das haben wir noch nie so gemacht" oder "das haben wir schon immer so gemacht". Auf Seiten der Schulleitung sind für den Prozess im Besonderen folgende Kompetenzen erforderlich:
- Identification: Vorbild und Vertrauen
- Inspiration: Motivation durch Herausforderungen
- Stimulation: Förderung selbstständiger und kreativer Problemlösekompetenz
- Consideration: Individuelle Förderung und Coaching (Consideration)
- Fairness: Effektive Kommunikation (Fairness)
- Entrepreneurship: Unternehmerische Haltung (Innovation)
- Volition: Umsetzungsstärke (Ergebnisorientierung)
Das Anstreben einer transformationalen Führung hat logischerweise Folgen für das Kollegium und das Verhalten der Lehrerinnen und Lehrer sowie anderer Mitarbeiter in der Schule (Hausmeister, päd. Mitarbeiter, Schulpsychologen, Sachbearbeiter etc.).
Quelle: Pelz, W.: Transformationale Führung – Forschungsstand und Umsetzung in der Praxis. In: Au, Corinna von (Hrsg.): Leadership und angewandte Psychologie. Band 1: Wirksame und nachhaltige Führungsansätze. Berlin: Springer Verlag 2016.
Es geht in diesem Konstrukt um die Entwicklung übergeordneter Ziele und Vorstellungen im Netzwerk der Protagonisten (Lehrer*innen, Schüler*nnen und Eltern). Die traditionelle Hierarchiestruktur wird von einer Architektur des Netzwerkes abgelöst, die auf Selbstführung und der Autonomie des Lernens beruht (vgl. Schule digital - wie geht das? von Olaf-Axel Burow). Neben dem Phänomen Netzwerk spielt auch das (manchmal überstrapazierte) Attribut der Agilität eine wichtige Rolle. Hier wunderbar illustriert von Tanja Föhr:
Illustration von Tanja Föhr https://tanjafoehr.com
Fazit
In meinen Ausführungen wird (hoffentlich!) klar, dass die alte Vorstellung vom Boss in Zeiten einer Schule im Wandel nicht nur vorsichtige Risse bekommt. Die Attribute von Leitung im Change-Prozess liegen im Bereich des Mindsets und dem damit verbundenen Führungsstil. Bei der Auswahl und Fortbildung (!!!) von geeignetem Personal ist dies also unbedingt mitzudenken. Hier kommen wichtige Instrumente wie zum Beispiel begleitende Supervision ins Spiel. Mir ist bewusst: In Zeiten von Schulleitungsmangel geht es jedoch häufig darum Stellen überhaupt erstmal zu besetzen. Das ist eine Katastrophe in Bezug auf die Signalwirkung und großen Herausforderungen im Bildungssystem.
Der Job der Schulleitung muss also zwangsläufig an Attraktivität gewinnen, um wirklich geeignetes und professionelles Personal zu gewinnen. Dies kann zum Einen durch Besoldung und zum Anderen durch eine deutliche Unterrichtsentlastung erreicht werden. Zwingend erforderlich ist aber auch eine externe Begleitung (Supervison, regionale Vernetzung etc.) und die Stärkung von Leitungsteams. Die richtigen Köpfe für diese Positionen zu finden ist die große Herausforderung. Unternehmer- und Innovationsgeist sind nicht die vorrangigen Skills, die in der Lehrerausbildung gefragt sind bzw. zu Tage gefördert werden. "Innovation benötigt «Unternehmer» im wörtlichen Sinne, also Personen, die etwas unternehmen. Lösungen suchen, neue Wege gehen." schreibt Armin Hanisch dazu in einem lesenswerten Beitrag zum Thema Innovation. Diese «Unternehmer» im Kollegium aufzuspüren und ihnen den Boden (oder die Bühne?) zu bereiten: Das ist der wahre Boss-Move!
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