Kladde - Im Beratungsgespräch-Dilemma

Ein Kladde ist eine Kladde ist eine Kladde: Eine Kladde ist ein vorläufiger Entwurf oder ein Konzept und stammt vermutlich als Kurzform von „Kladde-Buch“ ab. Es wird als ein Schmier-, Skizzen-, Notiz- oder vorläufiges Geschäftsbuch bezeichnet (vgl. Wikipedia).

 

Bin ich noch der Richtige?

Kaum etwas ist unter Lehrkräften so beliebt wie ein Unterrichtsbesuch ;-) . Oft untrennbar mit dem eigenen Referendariat verknüpft spaltet das Beratungsgespräch die Gemeinde in "eigentlich ganz gewinnbringend" bis "vollkommen realitätsfern". Vielleicht liegt der oftmals schlechte Ruf auch daran, dass einige Seminarleiter bzw. Fachleiter sich selbst am liebsten reden hören und manche Nachbesprechungen zur Selbstinszenierung nutzen. Unterrichtsbesuche werden von den Referendaren oft als extreme Stresssituationen empfunden, in deren Anschluss sich Seminarleiter dann über die Formulierungen der Lernziele ergötzen (vgl. Das Referendariat - Eine Haltungsfrage). 

 

Je tiefer ich in die Überlegungen zur Gestaltung von zeitgemäßem Unterricht unter den Bedingungen der digitalen Gesellschaft eintauche und je weiter sich die Schule in ihrer tradierten Form vom Transformationsprozess der Wirklichkeit entfernt, desto mehr hadere ich mit dem was ich tue, sage oder berate. Bin ich noch der Richtige für den Job?

 

Dilemma hoch 3

In einem aktuellen Unterrichtsbesuch wurde mir - wie vermehrt in jüngster Zeit - bewusst, in welchem Dilemma meine Beratung steckt. Im Grunde gilt es drei z.T sich widersprechende Ebenen zu betrachten, damit Beratungen gewinnbringend für die angehenden Lehrkräfte verlaufen. Dieses Dilemma erscheint mir kaum lösbar.

 

1. Ebene: Ausbildung für die (aktuelle) Schulrealität

 

Es war schon immer mein Ansporn und Anspruch, dass die Aspekte und Inhalte von Unterrichtsberatungen im Alltag der Referendare anschlussfähig sind. Immer dann, wenn es z.B. mal wieder zu Materialschlachten kommt, das Tafelbild schon vor dem Unterrichtsbesuch komplett fertig gestaltet ist oder die Schüler*innen bereits perfekt instruiert in Gruppen eingeteilt sind, verweise ich auf die Raritäten im Schulalltag. Das gilt eben (leider) auch im besonderen Maße für das Tisch-Setting im Klassenraum und für die (nicht vorhandene) Geräteausstattung und fehlendes WLAN in der Schule. Es müssen in der Beratung also gemeinsam Lösungen oder Alternativen für eine oft triste Schulrealität entwickelt werden. Zufriedenstellend ist das für mich immer weniger.

 

2. Ebene: Ausbildung für Seminaransprüche 

 

Die Anforderungen von Studienseminaren an einen Unterricht, der bestimmten Qualitätskriterien entspricht, sind mitunter hoch und lassen sich eben oftmals schwer mit der ersten Ebene zusammenbringen. Umgang mit Heterogenität, Classroom-Management, klar begründete Schwerpunktsetzung, Zieltransparenz, Sicherung & Vernetzung, Klarheit & Struktur, Schülerorientierung etc. stellen einen hohen Anspruch dar, der durch die angehende Lehrer*innen dann bestenfalls in einer 45-minütigen Showstunde abgebildet werden soll. Das gesamte Portfolio der Kompetenzen im Unterrichten, Erziehen, Beurteilen, Beraten und Unterstützen (siehe über 70 (!!!) Kompetenzen der APVO in Niedersachsen) soll möglichst gezeigt werden, um dann in der inszenierten Prüfungsstunde ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Es erfolgt also eine Beratung im Sinne des Ziels: der Prüfungssituation.  Zufriedenstellend ist das für mich immer weniger.

 

3. Ebene: Ausbildung für eine zeitgemäße Schule

 

Immer öfter kommen mir schon während der Besuchsstunden Gedanken, wie sich der Unterricht wohl in einer neu gestalteten (innovativen/zeitgemäßen) Lernumgebung umsetzen ließe: Welche großartigen Möglichkeiten durch den Einsatz von Kulturzugangsgeräten (Kulturzugangsgerät, kleine Abhandlung) in Schülerhand (Smartphone, Tablet o.ä.) und entsprechenden Netzzugängen realisierbar wären. Projektartig, selbstgesteuert, individuell, kollaboarativ - mit den Lernenden im Zentrum. Ein agiler, problemorientierter, ergebnisoffener Unterricht, der - weg vom Gleichschritt - begleitet durch Lernprofis (ehemals Lehrenden) den Prozess und weniger den (Reproduktions-) Inhalt in den Blick nimmt. 

So wünsche ich mir von den Referendaren das Hinterfragen altgedienter Lehrmethoden und des selbst erlebten Rollenbildes (knapp 20 Jahre Lernen am Modell). Im Referendariat aber wohl kaum leistbar (siehe Ebene 1 und 2). So bleibt es dann dabei über Visionen zu sprechen: Was wäre wenn... Mehr geht wohl nicht. Zufriedenstellend ist das für mich immer weniger.