So fair werden angehende Lehrer*innen behandelt

Studienseminare haben nicht immer den besten Ruf: "Alltagsfern!" und "Realitätsfremd!".

Immer wieder begegnen mir bei Unterrichtsnachbesprechungen Fachlehrer die (vermutlich) aufgrund von eigenen negativen Erfahrungen im Referendariat eine große Portion Skepsis (und Ablehnung?) in die Gespräche mitbringen. Das mag sicher auch daran liegen, dass einige Seminarleiter sich selbst am liebsten reden hören und sowohl Seminarveranstaltungen als auch Nachbesprechungen zur Selbstinszenierung nutzen.

 

Vielleicht kommt dem einen oder anderen Leser dieser Anfang bekannt vor. In dem Blogbeitrag Das Referendariat – Eine Haltungsgfrage habe ich mich mit der Einstellung von Referendaren gegenüber ihrer Ausbildungszeit beschäftigt und dabei drei Perspektiven aufgezeigt. Wer nicht noch mal nachlesen möchte, hier die Essenz:

 

In der zweiten Ausbildungsphase im Seminar geht es um die untrennbare Verzahnung von Theorie und Praxis unter Begleitung von Experten, die eine positive Haltung der Referendare UND Seminarleiter voraussetzt um tatsächlich eigenes (Dazu-)Lernen zu ermöglichen. Um diese (ohne Frage stressige) Zeit möglichst gewinnbringend zu gestalten, habe ich in dem Beitrag die Haltungen/Blickwinkel aufgezeigt:

  1. Seminarleiter als Servicedienstleister
  2. Unterricht als Forschungsfeld
  3. Das Internet als Lernnetzwerk

Im Austausch zu diesem Blogbeitrag ging es immer wieder darum, dass natürlich auch die Seite der Ausbilder*innen über ein entsprechendes Mindset verfügen müsse, um ein entsprechendes offenes, lernförderliches und fehlerzulassendes Setting zu generieren. Zuletzt erschien dieser Artikel (So unfair werden angehende Lehrer*innen behandelt) in meiner Timeline und es kam wieder zu Diskussionen bei Twitter. 

Da ich seit neun Jahren selbst in der Lehrerausbildung tätig und Teil des unbeliebten (verhassten?) Systems bin, ist es mir ein Bedürfnis meine Sichtweise darzustellen. 

 

Es darf sich auf keinen Fall die Einstellung manifestieren, das Referendariat sei eine Zeit, die man nur überstehen muss um anschließend endlich Lehrerin oder Lehrer zu sein. Im Gegenteil: Im Vorbereitungsdienst hat man die Möglichkeit (später nicht mehr) in einem geschützten Rahmen und mit reduzierter Stundenzahl sich mit Schule und Unterricht reflektierend auseinanderzusetzen und mit Gleichgesinnten Fehler zu machen und Lösungen zu entwickeln. Es geht um die Entwicklung eines beruflichen Selbstkonzeptes: In einem Beruf, der sich radikal verändert hat (und wird) und dessen vielfältige Anforderungen sehr anspruchsvoll und herausfordernd sind.

 

Das Referendariat bzw. der Vorbereitungsdienst sind Teil der Ausbildung, um als Lehrerin und Lehrer zu arbeiten. Das Staatsexamen ist die Bescheinigung über das erfolgreiche Bestehen. (Dass in Zeiten von Quereinsteigern möglicherweise ein Ungleichgewicht und ein Gefühl von „im Grunde kann doch jeder Lehrer werden“ aufkommt, möchte ich nicht weiter thematisieren.)

 

Intransparente Ausbeutung?

Im dem Artikel heißt es unter anderem: „Ja, dass das ganze System völlig intransparent, ausbeuterisch und darauf ausgelegt ist, alle Menschen mit eigenem Stil oder anderen Blickwinkeln mundtot zu machen und anzupassen“ 

 

Diese Aussage ist so reißerisch wie pauschal und kann natürlich so nicht stehen bleiben. In allen Bundesländern findet der zweite Teil der Lehreausbildung auf der Grundlage von Rechtsvorschriften statt. In Niedersachen sind das in erster Linie die APVO-Lehr und die entsprechenden Durchführungsbestimmungen. Somit ist das System nicht intransparent und jeder angehende Referendar hat die Möglichkeit sich also schon vorher über die Bedingungen und Inhalte zu informieren. Eine Umsetzung hängt natürlich immer an Personen (Seminarleitern und Direktoren der Studienseminare). Dies ist aber in allen Bereichen und Branchen der Fall. 

Das Attribut ausbeuterisch ist sicherlich auf die individuelle schulische Situation bezogen. Wenn dies so ist, ist das natürlich ein wenig erfreulicher Zustand. An unserem Seminar versuchen wir solche Probleme zwischen Referendaren und Ausbildungsschulen (Schulleitungen) im Gespräch zu lösen und in wenigen Fällen auch eine neue Schulzuordnung zu ermöglichen. Auch der gute Austausch mit dem Personalrat der Auszubildenden ist an dieser Stelle wichtig. 

 

Die Erfahrung zeigt, dass derartige Probleme oft auf der Beziehungsebene liegen und natürlich beiderseitig zu verantworten sind. Das Referendariat ist auch hier wieder keine Ausnahme. An allen Betrieben an denen z.B. meine ehemaligen Schülerinnen und Schüler ihre Ausbildungen beginnen gibt es Situationen, in denen Machtverhältnisse scheinbar ausgenutzt werden. 

 

Hier gilt es sicherlich für eine neue Generation von Fachleitern/Seminarleitern entsprechende Grundsätze und Haltungen zu formulieren, die ein angstfreies Lernen ermöglichen. 

 

„Als Fachleiter versuche ich den Referendaren das Handwerk des Unterrichtens und viel Lust am Lehrberuf zu vermitteln. Dabei sollen und dürfen sie viel experimentieren. Auch bei Unterrichtsbesuchen ist das ausdrücklich erwünscht. Ich mag keine Showstunden aus der Konserve. Übrigens: Ich spreche hier von mir und meiner Beratungspraxis, liebe Bedenkenträger.“ (Kommentar von Arthur Thömmes zum Artikel Das Referendariat – Eine Haltungsgfrage)

Aus dieser Einstellung liest sich weder 'mundtot machen' oder 'anpassen' heraus. 

An unserem Seminar führen wir regelmäßig Evaluationen zu allen relevanten Bereichen der Ausbildung durch und reflektieren die Ergebnisse im Seminarrat (Gremium besteht je zur Hälfte aus Ausbildern und Referendaren). Dies erhöht Transparenz und ist zugleich förderlich für die Arbeitsatmosphäre. Zur Hälfte der Ausbildungszeit finden die sog. Gespräche über den Ausbildungsstand statt. Her erhalten die Referendare also Rückmeldung zu genau diesem. Dass dies nicht immer den eigenen Ansprüchen/Erwartung entspricht, liegt auf der Hand. Der vielzitierte Druck hat sicherlich auch mit diesen eigenen Ansprüchen zu tun. Aber auch mit den Erwartungen, die z.T. künstlich an den Universitäten (gefühltes Notenspektrum von 1-1,5) erzeugt wird. Nach dem Motto: 'Es gibt nur sehr gute Lehrer*innen'.

Darüberhinaus ist es natürlich selbstverständlich, dass man vor einem Unterrichtsbesuch angespannt ist und auch Druck verspürt, insbesondere dann, wenn der letzte Unterricht nicht so gut lief. Ich zeige Unterricht für meine Referendare und auch ich bin vorher angespannt. Hinzu kommt die erschwerte Trennung von Skills und Lehrerpersönlichkeit in Beratungssituationen. Da z.B. eine Kritik an der Gesprächsführung sich nicht (nur) auf technische Aspekte reduzieren lässt, sondern auch immer eng mit der Lehrerpersönlichkeit in Zusammenhang steht. Hier ist eine professionelle Haltung (Distanz) von allen Beteiligten notwendig. Wir Seminarleiter haben dabei nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen und haben nicht immer Lösungen parat. Genau das macht es spannend und erfordert eben mehr Coaching als Belehrung. 

 

Die im Artikel genannte Willkür kann ich aus den angeführten Gründen also absolut nicht bestätigen. Ich erlebe eine weitgehend transparente und faire Ausbildungssituation. Es wäre sicherlich wünschenswert mehr Beiträge zu positiven Erlebnissen und Erfahrungen rund um das Referendariat zu lesen. Einen Anfang hat z.B. Bob Blume mit seiner Blogparade "Ein wunderbarer Moment im Referendariat" gemacht. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Kein Schüler (Donnerstag, 26 Juli 2018 14:16)

    "Eine Umsetzung hängt natürlich immer an Personen [...]. Dies ist aber in allen Bereichen und Branchen der Fall."
    Der erste Teil trifft es meines Erachtens auf den Punkt.

    In Praktika sieht man einige Schulen von innen und das Klima unterscheidet sich von Schule zu Schule massiv. Fast überall stark ausgeprägt ist jedoch der sehr große Gegensatz von Kritisieren und Kritik annehmen. Während es Lehrer gewohnt sind, Noten (häufig auch leichtfertig) zu verteilen, ist einem beim Bewertet-werden stets unwohl.

    Das gilt natürlich für den Besuch des Rektors, dessen Bewertung nur allzu häufig kein Abbild der didaktischen und pädagogischen Fähigkeiten, sondern der aktuellen Schulpolitik ist. Wer erst befördert worden ist bekommt zunächst mal keine gute Bewertung mehr. Wer sich loyal verhalten hat und unliebsame Aufgaben übernimmt (natürlich komplett freiwillig und ohne Beförderungsdruck im Hinterkopf) wird gut bewertet und befördert.

    Es endet aber nicht da, sondern schlägt sich auch in der Einzelkämpfer-Mentalität vieler Lehrer nieder. Während man Praktikanten im eigenen Unterricht meist noch ertragen kann ("Ihr wisst ja wie's ist: Nicht jede Stunde ist gut") ist gegenseitiges Hospitieren an den meisten Einrichtungen undenkbar.

    Dazu kommt noch, dass der öffentliche Dienst - im Gegensatz zu anderen Bereichen - wie kein anderer durch Hierarchien geprägt. In kaum einen anderem Bereich gibt es auch so wenig Notwendigkeit der Führenden, sich vor anderen zu Rechtfertigen oder Konsequenzen für das eigene Handeln zu fürchten.

    Diese Effekte führen leider auf einer systematischen Ebene dazu, dass auch eigentlich intelligente und emphatische Menschen dazu neigen, zu wenig auf die Untergebenen einzugehen und wenig Raum für Experimente einräumen. Ich glaube dem Autor, dass er alles in seiner Macht stehende tut, um unfaire Behandlung zu verhindern und den Referendaren eine gute Zeit zu ermöglichen. Aber es ist keine Notwendigkeit und würde er es nicht tun, hätte er auch keine größeren Konsequenzen zu fürchten.

    Und das Verhalten des Autors widerspricht auch nicht der Tatsache, dass "Misshandlung" (im eigentlichen Sinne; nicht im Sinne "Missbrauch") und Ausbeutung (v.a. im finanziellen Sinne - das Ref wird für den Abschluss extrem schlecht bezahlt) im Referendariat beobachtet werden können und die Betroffenen wenig Handhabe dagegen haben. Das generelle Stimmungsbild "es kommt auf die Personen (Schulleiter/Seminarlehrer/Betreuungslehrkraft) an, da muss man einfach Glück haben!" wird dadurch noch eher gestärkt.

    Insgesamt wäre es interessant zu wissen, wie viele Referendare wie zufrieden mit den 2 Jahren gewesen sind. Ich glaube nicht, dass es für die meisten eine Horrorzeit ist. Aber ich glaube auch nicht, dass hier jeder oder auch nur die meisten die schöne Spielwiese mit gutem Coach vorfindet, die für die Ausbildung zum sehr anstrengenden Beruf des Lehrers notwendig wäre.